In den litauischen Schöpfungssagen heißt es manchmal, Dievas habe den Menschen aus Lehm geschaffen und ihm dann die Seele eingehaucht. Diese Version unterscheidet sich kaum von der in der Bibel, ist aber wahrscheinlich älter. Sie kommt so auch bereits in vorchristlicher Zeit in anderen Ur-Religionen vor, wie die Ähnlichkeit zwischen den Wörtern „Mensch“ und „Erde“ in vielen Sprachen beweist (lateinisch homo – humus, hebräisch adam – adama). Das Motiv des aus Erde geschaffenen Menschen ist typisch für Agrarvölker. Allerdings wurde es oft von der in der Bibel beschriebenen Version „überschrieben“ oder vermischte sich mit ihr, sodass sich nicht klar belegen lässt, ob und in welcher Form es ursprünglich existierte.

Eindeutig eine rein litauische Version ist die, nach der der Mensch aus Gottes Speichel entstand. Dievas ging am Wasser entlang und spuckte aus, auf dem Rückweg sah er eine Kreatur, die sich aus seinem Speichel erhoben hatte. Nach regionalen Unterschieden waren dies einmal der Mann, einmal Mann und Frau und einmal auch Velnias. In einer weiteren Variante entstand der Mensch aus einem Wassertropfen, der Dievas auf den Boden fiel, als er sein vom Feuermachen rußverschmiertes Gesicht waschen wollte. Dieses Motiv gibt es auch bei den arktischen Völkern.

In der litauischen Mythologie war die Erschaffung des Menschen reiner Zufall – das Spucken des Gottes geschah ohne Absicht, und er ist selbst überrascht, als plötzlich ein Mensch vor ihm steht. Er fragt ihn: „Wer bist du?“, doch das weiß der Mensch natürlich nicht. Erst nach einigem Nachdenken fällt Dievas ein, dass er an dieser Stelle ausgespuckt hatte. Auch hier zeigt sich wieder der Glaube an einen gleichgültigen Gott, der kein Interesse am Menschen hat.

Ein altes Motiv der Schöpfungsmythen, das nicht in der Bibel vorkommt, sind die Nägel. Danach waren die ersten Menschen ganz mit einer Hornhaut bedeckt, die so beschaffen war wie die Fingernägel, und die sie vor allem, auch dem Tod, beschützte. Doch die Menschen wurden faul und lagen den ganzen Tag nur im Schatten, sodass Dievas ihnen diese Haut wegnahm und nur die Nägel übrigließ. Eine andere Version erzählt davon, dass Adam und Eva im Paradies mit einer solchen Haut bedeckt waren, die ihnen von Gott weggenommen wurde – die litauische Variante des Garten Eden.

Das Symbol der schützenden Haut taucht auch in anderen Volksreligionen auf, wo es heißt, dass die ersten Menschen im Alter ihre Haut abstreifen und sich so verjüngen konnten, dass sie ewig lebten. Durch einen Fehler oder eine böse Tat verloren sie jedoch diese Fähigkeit, sodass sich jetzt nur noch die Schlangen häuten können.

Die „Paradiesnägel“ hatten in Litauen noch lange Bedeutung. In den alten Sagen heißt es, dass der Mensch nach dem Tod einen hohen, glatten Berg aus Eis und Glas erklimmen muss, auf dessen Gipfel er das Paradies findet. Für den rutschigen Aufstieg sind die Nägel wichtig (entweder die eigenen oder die von Tieren wie Luchs oder Bär). Um sich darauf vorzubereiten, sollte man abgeschnittene Nägel nicht wegwerfen, sondern sie verbrennen, weil man sie sich dann in der Zwischenwelt leichter zurückholen konnte. Ältere Menschen, die den Tod erwarteten, schnitten sich manchmal die Nägel gar nicht mehr oder bewahrten sie in speziellen Beutelchen auf.

Im Sovijus-Mythos wird erzählt, wie der erste Tote den Weg durch die Unterwelt zum Paradies fand, und es heißt dort, dass man die Toten nicht in der Erde bestatten, sondern verbrennen sollte. Daraus erklärt sich die Tradition, dass es in Litauen und anderen baltischen Ländern für eine bestimmte frühe Zeitperiode Feuerbestattungen gab.

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