Ein wichtiger Bestandteil der Menschheitsgeschichte sind Märchen und Sagen. Während es sich bei Märchen um längere, ausgeschmückte Geschichten mit heldenhaften Charakteren handelt, geht es in den Sagen um „Menschen wie du und ich“, die sich anders verhalten, als es die Tradition vorschreibt, und die dadurch in eine ungewöhnliche Situation geraten. Jemand wäscht nachts Wäsche, ist nachts draußen unterwegs oder schaut zwischen den Ohren eines jaulenden Hundes durch. Als Folge begegnet er einer Elfe, dem Teufel oder dem Geist eines Toten.

Anders als Märchenerzähler geben sich Sagenerzähler daher auch ernst, konzentriert und sogar etwas besorgt. Wie kann man lachen, wenn es sich nicht um eine ausgedachte Geschichte, sondern um eine „wahre Begebenheit“ handelt? Die meisten Erzähler wählen Sagen, mit denen sie sich identifizieren können. Früher glaubten sowohl die Erzähler als auch die Zuhörer fest daran, dass das Erzählte wirklich Nachbarn, Bekannten oder Menschen aus anderen Dörfern zugestoßen war. Sagen wurden nicht nur zur Unterhaltung erzählt, sondern auch, um Menschen aufzuzeigen, wie sich übernatürliche Wesen verhalten und was man macht, wenn man ihnen begegnet. Diese Funktion war zu den Zeiten, in denen Sagen entstanden, natürlich weitaus wichtiger und bestimmte den Aufbau, den Bezug zur Realität und somit auch die Wirkung auf den Zuhörer.

In Märchen werden Begebenheiten so beschrieben, dass sie fantastisch, ungewöhnlich oder magisch wirken. Sagen dagegen weisen immer Elemente auf, die sie mit dem Alltag verbinden. Daher haben sie auch keine formelhaften Anfangs- oder Schlusssätze, die beim Märchen dazu dienen, Vorstellung und Realität voneinander abzugrenzen. Sagen beginnen mit einfachen, gewöhnlichen Beschreibungen des Alltagslebens. „Eine alte Frau hatte Flachs zu spinnen. Sie spann und spann, bis sie keine Lust mehr hatte, doch der Haufen nahm einfach nicht ab …“ So der Anfang der Sage „Die spinnenden Göttinnen“. Auch Wortschatz und Erzählweise sind der Alltagssprache entnommen. Gerade weil der Zuhörer an die Realität der dargestellten Szene glaubt, rufen die auftretenden übernatürlichen Wesen größeren Respekt oder Angst hervor – besonders, wenn klar wird, dass sie gegen den Menschen handeln oder gar seinen Tod herbeiführen können. So entsteht auch in der Sage „Die spinnenden Göttinnen“ eine unterschwellige Bedrohung, als die alte Frau die Göttinnen bittet, für sie den Flachs zu spinnen, ohne die Konsequenzen zu überschauen. Das größte Spannungsmoment der Sagen liegt immer im Konflikt zwischen Menschen und übernatürlichen Wesen.

Der Realitätsbezug wird durch Ort und Zeit der Handlung noch verstärkt. Schauplätze stammen aus dem direkten Umfeld der Zuhörer (vor dem Haus, am Fluss oder im Wald, auf dem Feld, in der Scheune), und die Sage spielt nicht wie ein Märchen „vor langer Zeit“, sondern in der unmittelbaren Vergangenheit – gestern, vorgestern, letztes Jahr. Und selbst, wenn es einmal „früher“ heißt, wird impliziert, dass es nicht so lange her sein kann, wenn sich der Erzähler noch so gut daran erinnert.

Obwohl Schauplatz und Zeit so real wie möglich gewählt werden, können sie doch ungewöhnlich sein. Ein übernatürliches Wesen erscheint einem normalerweise nicht im eigenen Haus, sondern an einem markanten Ort im Wald, nahe einem Friedhof, in einer freistehenden Scheune und oft spät in der Nacht. Auch dies erhöht den Realitätsbezug, bestärkt es doch die Erwartung der Zuhörer, wo sich solche Wesen aufhalten. Der so entstehende Gruseleffekt trug ebenso zur Beliebtheit der Sagen bei wie die Tatsache, dass sich jeder mit den vorkommenden menschlichen Charakteren identifizieren konnte – Bauern, Bauersfrauen, Knechte und Mägde, Schäfer und Hütejungen. Auch sind die Charaktereigenschaften nicht so stereotyp verteilt wie im Märchen, wo das Waisenkind immer gut und die Stiefmutter immer böse ist. In Sagen kann der Bauer einmal reich und einmal arm sein, freigiebig oder geizig, mutig oder feige, schlau oder naiv, wobei die Sympathien der Zuhörer fast immer den Armen, Bescheidenen und Klugen gehören. Doch die Begegnung mit einem übernatürlichen Wesen bringt oft eine einschneidende Veränderung mit sich – die Folgen reichen von Überraschung über Wahnsinn und Krankheit bis zum Tod.

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