Luftklinger – Aerophone

Aerophone stellen die größte und variantenreichste Gruppe der traditionellen litauischen Instrumente. Sie lassen sich in drei Kategorien einteilen:

Pfeifen:
Dazu gehören die aus mehreren Flötenrohren bestehenden skuduciai, die Rohr-, Hohl- und Blockflöten wie vilioklis, svilpukas, molinukas und lamzdelis sowie svilpa, eine Art Querflöte.

Zungen-Aerophone:
Hier wird die Luft durch so genannte Zungen, Blätter oder Lamellen in Schwingung versetzt. Beispiele sind birbyne, tosele und ubikas.

Trompeteninstrumente:
Gefertigt aus Horn (medziokles ragas, jaucio ragas, ozragis) oder Holz (zieves trimitas, kerdziaus trimitas, ragai, daudytes).

Die Pfeifeninstrumente im Einzelnen:
Skuduciai findet man nur in einigen nordöstlichen Regionen Litauens (Vabalninko, Kupiskio und Birzu, Rokiskis und Panevezys). Sie werden aus Eschen-, Erlen- oder Weidenholz, für eine kürzere Verwendungszeit auch aus schilfartigen Pflanzen gefertigt. Die Holzstücke werden auf verschiedene Längen gekürzt und ausgehöhlt, ein Ende bleibt verschlossen. Die Länge der einzelnen Holzstücke bestimmt die Tonhöhe, sodass mehrere aufeinander abgestimmte Flöten ein Set von meist fünf bis acht ergeben. Gespielt wird, indem man scharf über das abgeschrägte, offene Ende bläst.

Die Vilioklis besteht aus einem Flügelknochen oder einer Gänsefeder, die ausgehöhlt und mit einem Schall-Loch versehen wird. Indem man am offenen Ende hineinbläst und das Loch regelmäßig abdeckt und freigibt, entsteht ein flatternder, vogelschreiartiger Ton, mit dem Jäger Enten und Vögel anlockten.

Svilpukai gibt es in drei Varianten. Sie sind in ganz Litauen bekannt und wurden beim Herdentreiben und bei Spielen benutzt.

– Rindenpfeifen (zieves svilpukai) werden im Frühling zur Zeit der Weidenblüte hergestellt, weil sich dann die Rinde gut entfernen lässt. Man schält sie in einem Stück ab, so dass sich eine Röhre ergibt, deren unteres Ende mit einer vom Ast geschnittenen, angeschrägten Scheibe bis auf einen kleinen Schlitz verschlossen wird. Kurz darüber wird das Schall-Loch angebracht. Rindenpfeifen spielen normalerweise nur einen Ton und haben keine Grifflöcher.

– Schilfpfeifen (nendres svilpukai) stellt man ebenfalls im Frühling her. Bei ihnen bleiben beide Enden offen, das Schall-Loch befindet sich nahe dem einen Ende, das beim Spielen mit der Zunge verschlossen wird. Auch Schilfpfeifen geben nur einen Ton.

– Holzpfeifen gibt es in zwei Formen: als Röhren (dann ähneln sie den Rindenpfeifen) und als Spielzeugfiguren in unterschiedlichsten künstlerischen und fantasievollen Ausführungen. Sie können auch mehrere Grifflöcher haben und somit unterschiedliche Töne spielen.

Molinukai bestehen aus Ton und haben entweder Röhren- oder Figurinenform. Der Ton wird um einen dünnen Stock zur Röhre geformt, der Stock entfernt, ein Ende verschlossen, das andere Ende abgeflacht und mit einem Blasloch gesehen. Dazu kommen ein Schall-Loch und zwei bis vier Grifflöcher. Figurinen werden in ähnlicher Weise hergestellt, doch kunstvoller ausgeformt und verziert. Nach dem Brennen haben molinukai einen weichen, zarten Klang. Je nach Anzahl der Grifflöcher lassen sich Melodien improvisieren und sogar sutartines spielen. Im Alltag wurde sie von Viehhirten und Kindern als Spielzeug benutzt.

Traditionelle Lamzdeliai (Flöten) bestehen aus Rinde oder Holz. Die Rindenflöte (zieves lamzdelis) wird im Frühling hergestellt, indem man von einem Weiden-, Espen- oder Kiefernspross die Rinde in einem Stück entfernt, sodass eine Röhre entsteht. Auch hier wird das obere Ende mit einer Astscheibe bis auf einen kleinen Schlitz verschlossen und darunter ein Schall-Loch angebracht. Dazu kommen drei bis sechs Grifflöcher.

Holzflöten werden aus Eschen- oder Lindenästen hergestellt. Man entfernt die Rinde und höhlt den Astabschnitt durch Bohren, Schneiden oder Ausbrennen aus, bevor wie bei der Rindenflöte Blas-, Schall- und Grifflöcher dazukommen. Lamzdeliai sind normalerweise nach diatonischen Durtonleitern gestimmt. Ihr Klang ist weich und rauchig, sie können jedoch auch scharf und schrill klingen, wenn man zu stark hineinbläst. Traditionell wurden auf ihnen improvisierte Hütemelodien gespielt wie raliavimai, ridovimai und tirliavimai, mit denen die Hirten ihre Herden beruhigten. Auch Vogelstimmen und andere Naturklänge lassen sich damit nachahmen, doch geübte Spieler entlocken ihnen auch sutartines, Lieder und Tänze wie Polka, Walzer, Mazurka, Quadrille und Märsche. Flöten spielte man gerne nachts auf der Weide, bei Zusammenkünften junger Leute und bei Hochzeiten. Sie sind in ganz Litauen gebräuchlich.

Svilpa bezeichnet eine Querflöte, die aus Rinde oder aus Eschen- oder Ahornholz als zylindrisches Rohr gefertigt wird, das ein dickeres und ein dünneres Ende hat. Früher wurden auch manchmal mehrere Rohre ineinander gesteckt. Das Mundstück ähnelt dem der Flöten. Die svilpa wird mit der linken Hand gehalten, der rechte Zeigefinger bedeckt die untere Öffnung. Ihr Klang ist weich und zart, und sie wird als Soloinstrument für freie Improvisation, Lieder, Tanzmelodien und sutartines gespielt.

Zur Gruppe der Zungen-Aerophone mit so genanntem „Blatt“ als Vibrationskörper zählen:
Tosele – eine Scheibe aus dünner Birkenrinde mit einem abgerundeten Ende. Sie wird zwischen Unterlippe und Zähne geschoben und an der runden Seite mit der Oberlippe gehalten. Durch Kieferbewegungen lässt sich die Tonhöhe regulieren. Mit der tosele ahmte man Vogelstimmen nach, sie wurde jedoch auch zum Spielen von Liedern und Tänzen benutzt.

Ubikas – ein der Länge nach gespaltener Holzstab, in den ein Stück Stoff oder Birkenrinde, ein Grashalm oder ein Blatt gesteckt wird. Die offenen Enden werden wieder zusammengebunden. Wenn man die ubikas zwischen den Daumen hält und die Luft durch den Spalt bläst, entsteht ein scharfer, vibrierender Klang, mit dem Jäger Tiere anlockten. Sie wurde jedoch auch zum Tanz gespielt.

Birbyne – Es gibt drei Arten von birbynes, die sich in ihrer Bauart unterscheiden.
1. mit einfachem oder doppeltem Blatt direkt am Instrument
2. mit abnehmbarem Mundstück, in das das Blatt eingeschnitten wird
3. mit einem Blatt, das am Mundstück befestigt wird

Die erste Art wird aus einem Strohhalm, einer Gänsefeder, Baumrinde oder Holz gefertigt. Ein Ende der Röhre ist offen, das andere geschlossen. Ins geschlossene Ende wird ein Blatt geschnitten, das beim Spielen vibriert. Die Tonhöhe kann durch drei bis sechs Grifflöcher verändert werden.

Die zweite Art besteht aus Rinde, einem Tierhorn oder Holz. Die Rinde wird spiralförmig abgeschnitten und mit Harz zu einer konischen Röhre verklebt, Holz wird entsprechend zurechtgeschnitten, bei Tierhörnern die natürliche Form übernommen. Ins spitze Ende kommt ein langer Strohhalm, ein Gänsekiel oder ein hölzernes Mundstück mit je einem eingeschnittenen Blatt und sechs bis acht Grifflöchern.

Die dritte Form besteht aus dickeren Eschen- oder Ahornästen, die ausgehöhlt und mit sechs bis acht Grifflöchern versehen werden. Am abgeschrägten Ende, in das man hineinbläst, wird mit dünnem Faden ein Blatt aus Holz befestigt – ähnlich wie bei einer Klarinette. Als Trichter dient ein Tierhorn am unteren Ende.

Auf birbynes spielte man improvisierte Melodien, einfache Volkslieder, Tänze und sutartines. Sie wurden zusammen mit anderen Instrumenten bei Hochzeiten oder Zusammenkünften der jungen Leute angestimmt.

Die letzte Gruppe der litauischen Aerophone umfasst die Trompeteninstrumente mit Mundstücken, die man in Horntrompeten (medziokles ragas, jaucio ragas, ozragis) and Holztrompeten (zieves trimitas, kerdziaus trimitas, ragai und daudytes) unterteilt.

In litauischen Museen sind insgesamt vier medziokles ragai der Frühzeit ausgestellt, die aus den Hörnern von Auerochsen gefertigt wurden, den Vorfahren domestizierter Rinder. Sie haben keine Grifflöcher und wurden bei der Jagd als Signalhörner benutzt.

Daraus entwickelte sich das jaucio ragas aus dem ausgehöhlten Horn eines Bullen oder Schafbocks, in das man mehrere Grifflöcher brannte. Manchmal wurden auch zwei verschiedene, längs geteilte Hörner mit Flachsschnüren zusammengebunden und die Lücken mit Harz verschlossen. Auch dieses Instrument kam beim Viehtreiben als Signalhorn zum Einsatz.

Ozragis – aus einem Ziegenhorn, in dessen abgeschnittene Spitze ein Mundstück gesteckt wird. Ozragiai haben keine oder zwei bis fünf Grifflöcher. Der Klang wird mit den Lippen um das Mundstück verändert, daher ist das Instrument schwer zu spielen und erfordert Geschicklichkeit. Es wurde von Hirten als Signalhorn benutzt, jedoch auch bei Hochzeiten und anderen Feierlichkeiten gespielt, und ist in ganz Litauen bekannt.

Zieves trimitas – eine Rindentrompete aus einem breiten Streifen Birken-, Kiefern- oder Erlenrinde, der aufgerollt und zusammengebunden wurde. Dann zog man die Rolle von innen heraus auseinander, so dass eine Trompetenform entstand. Die weite Öffnung wurde mit einem Stöckchen auseinandergehalten, in das spitze Ende kam ein ausgehöhlter Stock als Mundstück. Sie wurde als Signalinstrument bei der Jagd oder beim Viehtreiben gespielt.

Kerdziaus trimitas – Die Hirtentrompete besteht aus einem massiven Ast, der vom dickeren Ende her der Länge nach geteilt und ausgehöhlt wurde. Das dünnere Ende blieb ganz und nahm das Mundstück auf, manchmal wurde dieses auch direkt aus dem Ast geschnitzt. Die ausgehöhlten Hälften wurden dann wieder zusammengebunden, die Öffnungen mit Pech und gekochter Birkenrinde verschlossen. Auf der Hirtentrompete ließen sich vier bis acht Töne fanfarenartig spielen; talentiertere Musiker entlockten ihr auch Volkslieder und sutartines. Hauptsächlich wurde sie jedoch in ganz Litauen dazu benutzt, beim Viehtreiben Richtungsänderungen anzuzeigen.

Ragai – diese Trompetensets kannte man nur im nordöstlichen Aukstaitija. Sie wurden wie die Hirtentrompeten aus Holz gefertigt, jedoch in fünf verschiedenen Längen, die in Tonintervallen von Sekunden gestimmt wurden. So gab jede raga nur ihren eigenen Ton – erst im Zusammenspiel entstanden Melodien wie „Untyte“, „Intakas“, „Kate“ und „Ridikas“. Ragai wurden nur unter freiem Himmel und nur von Männern gespielt – beim nächtlichen Viehhüten, am Hirtenfeiertag melstuves, während der Heu- und Roggenernte und bei Feiern der jungen Leute.

Daudytes – diese Trompeten aus einem geraden Holzstück von bis zu 1,60 Länge kommen nur im nordöstlichen Aukstaitija vor. Auch sie wurden geteilt, ausgehöhlt und wieder zusammengefügt. Ein Set besteht aus zwei daudytes, die in Sekunden- oder Quartintervallen gestimmt wurden. Mit ihnen wurden die gesungenen sutartines wie „Gegute“, „Saduto tuto“, „Ligi sokeila“, „Obelyt grazuolyt“ und andere begleitet. Wie die sutartines selbst gerieten sie Anfang des 20. Jahrhunderts in Vergessenheit.

Die verschiedenen Tanzformen

Litauische Volkstänze lassen sich in vier Gruppen einteilen:

polyfonische Gesangstänze, Ring- oder Kreistänze, Tanzspiele und freie Tänze.

Polyfonische Gesangstänze (Sutartinių šokiai): Wie im Kapitel „Lieder“ beschrieben, handelt es sich bei den sutartinės um einzigartige, uralte, mehrstimmige Lieder. Zu etwa einem Drittel von ihnen gehören begleitende Tanzelemente, bei denen es sich um einfache und leicht auszuführende Bewegungen handelt. Es tanzen drei oder vier Frauen im Kreis oder im Quadrat und singen dazu. Ein Beispiel hierfür ist „Šokinėjo žvirblalis po pievų“.

Ringtänze und Kreistänze (c) llkc.lt

Ringtänze und Kreistänze (c) llkc.lt

Ring- oder Kreistänze (Rateliai): An einem Ringtanz können beliebig viele Tänzer teilnehmen, und sie begleiten sich dabei selbst durch Gesang ohne Unterstützung durch Instrumente. Während sie die Kreisform abschreiten, führen die Teilnehmer verschiedene Bewegungen aus. Diese illustrieren manchmal den Liedtext, meist jedoch handelt es sich um einfache Tanzelemente wie das Einhaken und Drehen und andere Figuren. Es gibt verschiedene Ausgangspositionen bei Ringtänzen: einfache Kreise (zum Beispiel ”Pasėjau žilvitį”, “Gražus mūsų jaunimėlis”, “Verdu bulvienę”), Doppelkreise, Reihentänze (”Esu dailiai i mokyta”), Spaliertänze (“Upytėlė teka”), Kettentänze und viele andere Variationen.

Tanzspiele (Žaidimai): Bei Tanzspielen wird selten gesungen, und falls doch, gibt es keinen strengen Rhythmus. Hauptelemente sind kreative Improvisation, gesprochene Dialoge (wie in “Šarka” (= Elster) oder “Žvirblis” (= Spatzen) und das Erfüllen von „Aufgaben“. Einige Tanzspiele ähneln den Ringtänzen (zum Beispiel “Katinas an pečiaus“).

Freie Tänze (Šokiai): Diese Tänze werden von Instrumentalmusik, in manchen Fällen auch von Gesang begleitet. Die einzelnen Paare sind im Raum frei aufgestellt, tanzen jedoch dieselbe Choreografie, sodass sich ein Gruppenbild ergibt. Die Tänze bestehen aus festgelegten Schritten, Bewegungen und Figuren.

Litauische Paartänze (c) llkc.lt

Litauische Paartänze (c) llkc.lt

Litauische Paartänze (wie zum Beispiel “Šokinėkit, berniukai”, “Kiškelis”, “Gudo dūda”, “Pjoviau šieną”, “Drailinas, “Anės polka”, “Grečinikė”) und auf Paartänzen basierende Gruppentänze (“Našliukas”, “Polka keturinė”, “Noriu miego”, “Malūnėlis”) unterscheiden sich in ihren Schritten und Bewegungen wenig von denen in benachbarten Ländern, sind in ihrem Charakter und Ausdruck jedoch einzigartig. Selbst ausländische Tänze, die ihren Weg nach Litauen fanden (wie Krakoviak, Latrišas, Aleksandra, Vengierka, Lelenderis, Valsas, Kadrilis und andere) wurden verändert und erhielten viele neue Varianten, sodass sie sich in charakteristischen Merkmalen von der Ursprungsform unterscheiden.

Litauische-Tanz-Geschichte
Den ersten schriftlichen Hinweis auf baltische Musik findet man gegen Ende des 9. Jahrhunderts.
Der angelsächsische Reisende und Händler Wulfstan berichtete, dass die Balten bei Beerdigungen Musik spielten.

Volkstanz auf der Bühne
Heute muss man beim Begriff „Volkstanz“ zwischen den ursprünglichen
und den für die Bühne geschaffenen Formen unterscheiden.

Litauische Lieder, die regionalen Unterschiede

Einige Liedthemen findet man in ganz Litauen. Dazu gehören die Hochzeitslieder, die landesweit am populärsten sind. Manche von ihnen haben über 1000 aufgezeichnete Varianten. Auch Kinder- und Feierlieder sowie Stücke über die Jugend, die Liebe oder die Familie sind landesweit beliebt. Im Allgemeinen unterscheiden sich jedoch die Themen und Gesangstechniken nach den verschiedenen Liedtypen und ethnischen Regionen.

Dzūkija (Südlitauen) weist von allen Landesteilen das größte Liedgut mit vielen Themen und Melodievarianten auf. Mit wenigen Ausnahmen stammen die einzigen noch bekannten Kalenderjahrlieder von hier. Besonders in Süddzūkija kennt man noch heute außergewöhnlich viele Advents- und Weihnachtslieder. Aus dem kleinen Gebiet des östlichen Dzūkija stammen viele Lieder zur Fastnacht, zum Feiertag des Heiligen Georg und zum Schunkeln, ebenso wie archaische antifonische Lieder, die als Wechselgesang von zwei Gruppen vorgetragen werden.

Einstimmige (oder heterofone) Lieder und Soli kommen in ganz Dzūkija vor. Der Sologesang wird dabei durch seine Individualität bestimmt: Eine Melodie kommt in vielen Varianten vor, da jeder Sänger neue Melodienbögen hinzufügt und das Lied immer wieder anders interpretiert. So sind zum Beispiel Klagelieder zu Hochzeiten und Beerdigungen traurige, lang gezogene Improvisationen. Auch die später aufgekommenen zweistimmigen Lieder haben ihren Ursprung in Dzūkija. Einzigartig für diese Region ist die Vielfalt an Tonarten. Außer im bekannten Dur und Moll tauchen hier auch Stücke in phrygischer Tonart und anderen alten, so genannten griechischen Tonarten auf.

Die regionalen Unterschiede im litauischen Liedgut (c) llkc.lt

Die regionalen Unterschiede im litauischen Liedgut (c) llkc.lt

In Ostlitauen (Aukštaitija) ist das Liedgut nicht so umfassend wie in Dzukija, doch auch hier gibt es mehrere regional einzigartige Varianten. Vor allem sind zwei Arten von mehrstimmigen Liedern typisch, die jedoch Jahrhunderte auseinanderliegen. Die uralten sutartinės kommen nur im Nordosten Aukštaitijas vor, wo sie bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts noch gesungen wurden. Die neueren zweistimmigen Lieder mit einfachen Rhythmen, Takten und in Durtonarten sind dagegen heute noch beliebt. Im Nordwesten der Region, die auch für ihr köstliches Bier berühmt ist, sind die valiavimai zu Hause. Hierbei handelt es sich um Lieder zur Heuernte, die von Männern gesungen werden. Außerdem haben Begleitlieder zur Flachsverarbeitung und mitreißende Trinklieder hier ihren Ursprung.

In der kleinsten ethnischen Region Suvalkija (Südwestlitauen) kennt man vor allem den zwei- und dreistimmigen Gesang, der dem in Aukstaitija ähnelt. Doch haben hier auch einige alte einstimmige Lieder überlebt, die mehr Gemeinsamkeiten mit dem Liedgut in Dzukija und Ostpreußen haben.

Die Bodenständigkeit und Langsamkeit, die man den Westlitauern nachsagt, spiegelt sich auch in ihrem Liedgut. Die Lieder in Žemaitija (Westlitauen) ähneln mit ihren Durtonarten und der Zweistimmigkeit zwar denen in Aukstaitija, doch sind ihre Rhythmen komplizierter, unstrukturierter und holprig wie die Sprache der Einwohner. Die Melodien klingen lang gezogen und manchmal chromatisch, außerdem enthalten sie oft Vorschlagsnoten. Daher ist es fast unmöglich, den wahren Charakter dieser Lieder in Notenschrift festzuhalten. In Žemaitija deckt das Liedgut nur wenige Themen ab und zeichnet sich durch überwiegend monolithische Melodien aus.

Obwohl Litauen aus vier ethnischen Hauptregionen besteht (Aukštaitija, Žemaitija, Dzūkija und Suvalkija), muss die Unterregion Kleinlitauen wegen ihres eigenständigen Liedguts gesondert erwähnt werden. Die hier lebenden evangelischen Lietuvininkai waren viele Jahrhunderte lang vom katholischen Litauen abgeschnitten, weil die Deutschen diesen kleinen Landstrich von Zemaitija um die Stadt Klaipeda herum erobert und Preußen zugeschlagen hatten. Dadurch entwickelte sich eine eigenständige, asketische Lebensweise, die geprägt war von der lutheranischen Religion und der Abhängigkeit vom Meer.

Auch in den Liedtexten, die von Fischern, Booten und dem Meer handeln, sowie in den klagenden einstimmigen Melodien spiegelt sich das harte Leben der Küstenbewohner wider. Leider gingen diese Lieder vor langer Zeit verloren und können nur durch Sammlungen aus dem 19. Jahrhundert rekonstruiert werden. Ihre Melodien sind erstaunlich subtil, ruhig und frei gestaltet, immer wieder tauchen unerwartete Tonartenwechsel und chromatische Elemente auf. Oft ist die Tonart nicht eindeutig, und im Variantenreichtum der Tonarten stellen die Lieder dieser Region sogar das Liedgut in Dzûkija in den Schatten. Im Stil ähneln die Melodien den der anderen Hauptregionen, woraus man schließen kann, dass diese Formen früher viel weiter verbreitet waren. Allerdings hört man in den Liedern Kleinlitauens auch deutlich den deutschen Einfluss.

In der Beschreibung der reichen Vielfalt litauischer Volkslieder bezogen wir uns hauptsächlich auf Lieder, die in der Vergangenheit aufgezeichnet wurden und bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts im Alltag gesungen wurden. Im ländlichen Litauen erinnern sich noch viele ältere Leute sehr gut an dieses traditionelle Liedgut, und noch heute werden die Lieder zu besonderen Anlässen gesungen und von Ethnografen aufgezeichnet und dokumentiert. Ländliche Folkloregruppen nehmen sie gern in ihr Repertoire auf, und Volksmusikliebhaber in den Städten lernen sie begeistert und singen sie nach. Auf diese Weise erhalten die Lieder auf Festivals und bei Feiern neues Leben.

Volkskunst & Traditionen

Die ländliche Architektur, Volkstrachten, Tänze, Lieder, Sagen und Märchen dokumentieren eindrucksvoll die litauischen ethnischen Traditionen und Bräuche. Die Sammlung des Instituts für litauische Sprache und Folklore umfaßt inzwischen mehr als anderthalb Millionen Sagen, Sprichwörter, Märchen, Legenden und Lieder. Als weltweit einmalig sind die litauischen Lieder, die sutartines bekannt.

(c) llkc.lt

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In Litauen werden alle fünf Jahre weltweit beispiellose nationale Gesangs- und Tanzfeste veranstaltet. Hunderttausende Zuschauer und zigtausende Sänger und Tänzer kommen zu diesen Festivals nach Vilnius. Der Anfang dieser Tradition stammt aus dem Jahr 1924, als in der damaligen litauischen Hauptstadt Kaunas auf einem Platz erstmals 86 Chöre und 3.000 Sänger und Tänzer auftraten.

Diese oben beschriebe litauische Volkskunst, Bräuche und Traditionen möchte ich ihnen wesentlich näher bringen. In Zusammenarbeit mit dem litauischen Zentrum für Folklore, Volkskunst und Tradition und dem Verlag baltos lankos, der für die vielen traditionellen litauischen Rezepte und Texte in der Sektion Essen & Trinken verantwortlich zeigt, präsentiert ihnen litauen.info die grösste Informations-seite in deutscher Sprache über litauische ethnische Traditionen.

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