Perkūnas

Während Dievas den höchsten Gott darstellt, ist Perkūnas der wichtigste. Er wird bereits im 13. Jahrhundert erwähnt und war auch in Preußen als Percunis und in Lettland als Perkons bekannt. Ähnlichkeit besteht auch zum russischen Perun, dem Hauptgott der Hätiter Pirva, zur indischen Regen- und Sturmgöttin Parjanya und der germanischen Version Toro Porr. Die Herkunft des Namens Perkūnas lässt sich nicht eindeutig ableiten. Möglich wären von lateinisch quercus = Eiche (dem Baum des Perkūnas), aber auch von „schlagen“, litauisch smogti oder perti und musti.

In alten Quellen wird Perkūnas auch als Diviriks bezeichnet. Seine Tempel und heiligen Stätten werden mit Feuer und dem sogenannten Feuerkult in Verbindung gebracht. Im 13. Jahrhundert war er zunächst ein Gott der Krieger. In einer Version der Lyvonischen Chronik heißt es, dass litauische Krieger die gefrorene Bucht von Riga überquerten und Perkūnas ihnen dabei half. Hier übernimmt der Kriegsgott bereits die Herrschergewalt über das Wetter. In der Folklore wird er meist als kriegerisch, jähzornig und mit einer Axt, einem Messer oder Pfeilen bewaffnet dargestellt, mit denen er den Velnias oder böse Geister bekämpft. Auch wird hier seine Bedeutung als Wettergott hervorgehoben, der zwischen Himmel und Erde in den Wolken lebt und über Blitz und Donner gebietet. So steht er im Zentrum des Universums und herrscht über die Atmosphäre, während der Machtbereich des Velnias eher die Erde, das Wasser und die Unterwelt sind. Er fährt in einem zweirädrigen Wagen, dem zwei Ziegen oder Pferde vorgespannt sind, durch den Himmel. Donner wird als das Geräusch der Räder interpretiert. Der höchste Gott Dievas hat Perkūnas den Auftrag und die Macht gegeben, den Teufel oder Dämonen zu jagen, es heißt aber auch oft, dass diese Feindschaft auf persönlichen Gründen beruht, zum Beispiel weil der Teufel Perkūnas bestohlen oder beleidigt hat oder ihm eine Frau ausspannte.

Zusätzlich tritt Perkūnas als Fruchtbarkeitsgott auf, da er mit dem ersten Frühlingsgewitter dafür sorgt, dass das Gras sprießt und die Saat aufgeht. Auch in Hochzeitsritualen spielt er eine Rolle. Darin ähnelt er mehr dem westsemitischen Gott Baal als dem skandinavischen Donnergott Thor. Eine weitere seiner Aufgaben besteht darin, für Gerechtigkeit zu sorgen, indem er böse Menschen bestraft und die göttliche Ordnung wiederherstellt.

Andere mythische Schöpfer

Sagen mit Gott und velnias sind die beliebten „Klassiker“ unter den litauischen Schöpfungsmythen, es gibt jedoch auch welche, in denen personifizierte Himmelskörper (Sonne, Mond, Erde), Perkunas (der Donnergott und mystische Schmied), der Riese Spjudas, der erste Mensch Adam, Noah, Maria (die Gottesmutter), Jesus, die Heiligen, normale Menschen, wilde Tiere, Nutztiere, Vögel und Pflanzen vorkommen. Je nach Geschichte handeln sie bewusst und zielstrebig oder auch nicht.

Einige Beispiele: Perkunas sehnte sich nach Licht, verbrachte sechs Jahre damit, die Sonne zu schmieden, stieg auf das Dach des höchsten Hauses und warf sie an den Himmel.

Sonne und Mond lagen im Streit um die Erde, deshalb entschied Perkunas, dass die Sonne ihre Tochter Erde bei Tag beschützen solle und der Mond bei Nacht.

Um ein faules Pferd zu bestrafen, entschieden Maria und Jesus, dass es immer grasen und doch nie satt werden solle. Sie dankten dem Haselbusch, indem sie ihm herunterhängende Zweige schenkten, sie belohnten einen guten Bauern, indem sie seine Handschuhe in eine Katze verwandelte, die für ihn die Mäuse jagte.

Als Adam spazieren ging, entstanden aus seinen Fußstapfen Berge, doch wo er nicht hintrat, Sümpfe und unfruchtbares Land.

Als ein Band um ein Fass Noahs brach, verwandelte es sich in den Regenbogen.

Die Sonne fiel von einem Esel, versuchte sich an den Ohren festzuhalten und zog sie dabei lang, außerdem hinterließ sie einen Streifen auf seinem Rücken.

Da all diese Charaktere dieselbe Funktion erfüllen wie Gott und velnias, lässt sich ihre gemeinsame Abstammung leicht herleiten. Die personifizierten Himmelskörper, Perkunas, der Schmied, und der Riese Spjudas gehören alle zu einer frühen Periode der Mythologie, die vom Christentum nicht berührt wurde. Sie sind damit möglicherweise noch älter als die Sagen mit Gott und velnias. Allerdings gibt es nur sehr wenige Aufzeichnungen dieser vereinzelten archaischen Mythen, und ihre Authentizität ist nicht belegt. Möglicherweise wurden sie erst später unter Verwendung der alten Bilder geschaffen.

Übernatürliche Wesen in Sagen

Auf jeden Fall wird in der Sage der Mensch vom übernatürlichen Wesen, das eindeutig nicht-menschlich ist, in den Schatten gestellt. Es wird bis ins kleinste Detail in seinem ganzen Schrecken oder Glanz beschrieben, selbst, wenn es eine einfache oder alltägliche Verkleidung gewählt hat. Die Bandbreite ist groß: Da gibt es laumes – einfache Landelfen, die Kinder mit großen Köpfen und Augen haben –, den Jäger Perkunas, der auch der Gott des Donners ist, aitvarases – heinzelmannartige Geister, die Reichtum bringen –, Zauberer und natürlich den velnias, der dem Teufel entspricht.

Manchmal geht es in der Sage nur darum, diese Wesenheiten und ihre Handlungen zu beschreiben: laumes waschen ihre endlosen Leinenstücke in Seen, spinnen und weben, beschenken, entführen oder töten Kinder. Laimes, die Glücksgöttinnen, bestimmen das Schicksal Neugeborener. Aitvarases bringen gestohlenes Getreide, Geld oder Milchprodukte zu ihren Herren, Hexen fügen Menschen, Tieren oder der Natur Schaden zu und fliegen zu ihren Hexentreffen, Zauberer helfen verhexten Menschen usw. In litauischen Sagen treffen selten zwei übernatürliche Wesen aufeinander, meist ist es ein Mensch, der mit ihnen in Berührung kommt.

Dabei unterscheidet sich das Selbstverständnis des Menschen gegenüber der mythologischen Welt in Märchen und Sage grundsätzlich. Im Märchen sind Begegnungen mit übernatürlichen Wesen wie Perkunas, velnias, giltine (dem personifizierten Tod), sprechenden Tieren oder gar der Sonne nicht außergewöhnlicher als mit anderen Menschen und bergen keinen Schrecken in sich. In Sagen dagegen wird die mythologische Welt als Bedrohung dargestellt. Man versucht, eine solche Begegnung zu vermeiden, weil sie meist negative Folgen hat. Das angenehme Gruseln, das beim Zuhören wegen des Realitätsbezugs und der Identifizierungsmöglichkeiten entstand, war durchaus erwünscht, unterschied es sich doch positiv von der traumatischen Erfahrung echter Angst. Und selbst heute, im Zeitalter der intellektuellen Aufklärung, kann man sich der Wirkung von Sagen nicht völlig entziehen.

Besonders wertvoll ist auch die kulturhistorische Bedeutung von Sagen, geben sie doch Einblick in die Weltanschauung, die sozialen und kulturellen Strukturen sowie die spirituellen Glaubensrichtungen eines Volkes in früheren Zeiten.

Nehmen wir als Beispiel die bekanntesten Sagen über laumes. Das Bild der laume formte sich in einer landwirtschaftlichen Hochkultur, was sich durch das menschenähnliche Erscheinungsbild der laume und ihrer mit dem Bauernstand verbundenen Handlungen zeigt (Spinnen und Weben von Flachs, Waschen von Leinen). Die Vorgeschichte dieser Figur ist lang und kompliziert. Man kann sich heute nur noch schwer vorstellen, dass die laume einem personifizierten bedrohlichen Naturelement entspringt (in diesem Fall Wasser), das die frühen Menschen zähmen und nutzbar machen wollten. In Laume-Sagen spiegelt sich daher einerseits die Unvorhersehbarkeit und Gefahr eines Naturelements, andererseits die menschliche Fähigkeit, diese Kraft positiv zu nutzen. Wie die meisten indogermanischen Wassergeister beeinflussen auch die laumes Ernte und Fruchtbarkeit.

Das Bild des aitvaras dagegen entstand später, als sich die Clangesellschaften aufzuspalten begannen und erste soziale Unterschiede entstanden. Daher steht der aitvaras für soziale Einflüsse, nicht für Naturgewalten. Aitvaras-Sagen prangern oft unmoralisches Handeln an – wie andere Menschen auszunutzen, sich auf ihre Kosten zu bereichern und allgemein geldgierig zu sein.

Die litauischen laumes haben viele Gemeinsamkeiten mit den keltischen Elfen und den Schicksalsgöttinnen der Balkannationen. Die aitvaras ähneln den fliegenden Drachen der iranischen Sage. Daraus lässt sich schließen, dass die baltischen Völker Kontakt zu den Kelten hatten, als die laume-Sagen entstanden, und sich indirekt oder direkt mit Iranern austauschten, als der aitvaras geboren wurde. Natürlich bestehen auch viele Gemeinsamkeiten mit slawischen, germanischen und ugrofinnischen Sagen. Dennoch hat die litauische Sagenwelt einen definitiv eigenständigen nationalen Charakter, der sich von dem der benachbarten Länder unterscheidet.

So findet man in litauischen Sagen keine gefährlichen Waldgeister wie bei den Russen und Germanen, keine kriegerischen vilas wie in Bulgarien und keine Zwerge, die in den Bergen wohnen, wie in der Schweiz. Litauische Sagen reflektieren das flache, gleichförmige Land und den bäuerlichen Lebensstil. So stellt auch die laume einen weitaus bodenständigeren Wassergeist dar als in anderen Ländern, und aitvaras ist viel häuslicher als wohlstandsbringende Geister anderswo. Hexen und Zauberer wenden ihre Künste meist auf Nutztiere an usw.

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