In Litauen hatte sich inzwischen eine ausgedehnte Untergrundbewegung gegen das Stalin-Regime gebildet. Die litauische Aktivistenfront, so ihr Name, verfügte über gute Kontakte nach Berlin, insbesondere zu Wehrmachtskreisen. Der deutschen Armee war verständlicherweise daran gelegen, den Feind durch Diversifikationen im Hinterland abzulenken, und so unterstützte man die LAF. Am Tag des deutschen Angriffs besetzten Partisanen der LAF den Radiosender in Kaunas und kämpften die Stadt frei. Unter dem Jubel der Bevölkerung zogen deutsche Truppen am 24. Juni in Kaunas und Vilnius ein. Bereits zuvor hatten die Partisanen über Rundfunk die Gründung einer provisorischen Regierung verkündet; um gegenüber den deutschen Stellen zusätzliche Argumente zu haben, meldete man Berlin auch 4000 gefallene litauische Freischärler, in Wahrheit dürften rund 500 Litauer bei dem Aufstand den Tod gefunden haben. Dieses Vorgehen hatte natürlich den Hintergrund, die Deutschen vor vollendete Tatsachen zu stellen und zumindest eine gewisse Selbständigkeit Litauens zurückzugewinnen – eine Illusion ersten Ranges, wie sich bald zeigen sollte.

Nichts lag Nazideutschland ferner als eine Wiederherstellung der baltischen Unabhängigkeit. Das Gebiet, nun dem Reichskommissar Ostland Hinrich Lohse unterstellt, sollte der deutschen deutschen Herrenrasse als neues Siedlungsgebiet zur Verfügung stehen, wobei man Bewohner mit ‚germanischem Blut‘ eindeutschen wollte. Die ‚rassisch Unerwünschten‘ sollten nach Osten deportiert werden. Die Litauer kamen bei einer Einschätzung ihrer Rasse durch sogenannte akademische Spezialisten für Rassefragen schlechter weg als die Letten und Esten. Nur 30% wurden als ‚rassisch wertvoll‘ erachtet, während die Prozentzahl bei Esten und Letten wegen der angeblichen Kulturträgerschaft der Deutschbalten höher lag. Der für Litauen zuständige Generalkommissar Adrian von Renteln machte denn auch aus seiner Meinung kein Hehl. Wie einer seiner Mitarbeiter überliefert, hielt er die Litauer „für ein dummes, faules und feiges Volk…, dessen Intelligenz gefährlich, dessen Bauern aber verkommen wären“. (12) Nur der für Deutschland sich zunehmend verschlechternde Kriegsverlauf verhinderte eine Entwicklung, die zweifellos mit dem Ende des litauischen Volkes gleichzusetzen wäre.
Der anfängliche Jubel der litauischen Bevölkerung, die von diesen Planungen natürlich nichts wußte, schlug aus anderen Gründen bald in Verachtung für die Deutschen um. Die rassistischen Fernziele wurden immer mehr konkreten, kriegsbedingten Nahzielen untergeordnet. Die deutsche Verwaltung behielt das sowjetische Sowchosen- und Kolchosen-Prinzip bei, da so eine leichtere Überwachung und Ausbeutung gewährleistet war. Eine Reprivatisierung der Landwirtschaft in litauischer Hand hätte zudem den Kolonial- und Rassevorstellungen widersprochen. Kein Wunder also, daß sich vor allem die Landbevölkerung sehr bald ein neues, ungeschminktes Bild von der deutschen Besatzung machte. Ab 1942 wurden Litauer auch zur Zwangsarbeit ins Reich deportiert und erlitten damit das schreckliche Schicksal vieler Menschen in allen von Deutschland im Zweiten Weltkrieg besetzten Länder. Aus politischer Sicht jedoch blieb der zentrale Punkt, daß niemals von deutscher Seite auch nur im geringsten eine Hoffnung für eine wie auch immer geartete Selbständigkeit oder Autonomie gegeben wurde. Die landeseigene Verwaltung fungierte als bloßer Erfüllungsgehilfe der Deutschen und ihrer Interessen, und bald mußten sich dort tätige Litauer böse Worte ihrer Landsleute anhören. So überrascht es nicht, daß in den späteren Jahren auch in Litauen eine rege Partisanentätigkeit feststellbar ist, die allerdings, wie später noch auszuführen sein wird, nicht deckungsgleich mit einer prosowjetischen Haltung zu setzen ist. Die Besatzungsmacht schlug mit unmenschlicher Härte zurück: So wurde im Mai 1942 ein litauisches Dorf niedergebrannt und seine 400 Einwohner ermordet, weil in der Nähe drei deutsche Soldaten bei einem Partisanenüberfall den Tod gefunden hatten.

(12) Zit. nach Seppo Myllyniemi: Die Neuordnung der baltischen Länder, 1941-1944. Zum nationalsozialistischen Inhalt der deutschen Besatzungspolitik, Helsinki 1973, S.139.

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