Litauische Volkskunst

Während der Besatzung nahmen litauische Kunsthandwerker auch an zahlreichen Ausstellungen in Moskau teil, außerdem hatten Seminare und Workshops eine große Bedeutung, weil dort die traditionellen Techniken weitergegeben wurden. Es gab große Kunsthandwerktage mit der Auslobung des besten Künstlers in jeder Sparte, der letzte wurde 1989 in Vilnius abgehalten.

Auch heute noch finden Ausstellungen und Workshops statt, und in einigen Landesteilen werden Kunstpreise ausgelobt, zum Beispiel in Kaunas für Malerei und in L. Šepkas für Bildhauerei. Die höchste Auszeichnung für Kunsthandwerker ist der Preis des litauischen Kultusministeriums.

Obwohl sich in Litauen das individuelle Kunsthandwerk bis heute gehalten hat, entstanden auch hier einige Manufakturen für Deko-Artikel und Souvenirs. Die hier hergestellten Gegenstände weisen zwar oft die traditionellen Formen und Verzierungen auf, ihnen fehlt jedoch die individuelle Kreativität und Lebendigkeit.

Ende des 19. Jahrhunderts begann die Erforschung und Archivierung von Volkskunst in größerem Umfang. Einzelne Beschreibungen und Zeichnungen findet man bereits in früheren Quellen, doch 1879 wurde die „Litauische Literarische Gesellschaft“ in Tilsit gegründet, die alle Arten von historischen Informationen sammelte, darunter auch zum Thema Volkskunst. Dies hatte den Hintergrund, dass zwischen 1864 und 1904 der russische Zar alle Schriften im lateinischen Alphabet verboten hatte. Litauische Bücher und Zeitschriften wurden daraufhin unter großer Gefahr im Ausland, meist Preußen, gedruckt und illegal im Land verbreitet, auch gab es geheime litauische Schulen. Nach der Revolution 1905 erlangte Litauen die Pressefreiheit wieder, und es wurden verschiedene Kulturorganisationen gegründet, darunter für litauische Kunst, für Wissenschaft und für polnische Studien. Diese Organisationen im Inland und andere im Ausland – wie zum Beispiel das russische Völkerkundemuseum in St. Petersburg – legten systematische Volkskunst-Sammlungen an.

Zwischen den beiden Weltkriegen wurden diese Sammlungen erweitert. Eine große Rolle spielte die Kunstgalerie M. K. Čiurlionis, die Ausstellungen organisierte und Künstler anregte, dafür spezielle Werke zu schaffen. 1930 entstand die Kunsthandwerkergruppe „Marginiai“, auch gab es zahlreiche Schriften und Artikel zum Thema, unter anderem von P. Galaunė, A. Rūkštelė, I. Končius und A. & A. Tamošaitis, die auch die Verzeichnisse fortführten, die Anfang des Jahrhunderts von A. Šukevičius, M. Brenštein, J. Basanavičius, A. Jaroševičius und anderen begonnen worden waren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und während der Besatzung wurden die Studien und Sammlungen zur Volkskunst von Museen fortgesetzt. Das Litauische Zentrum für Volkskultur betreute unter anderem auch den Bereich Volkskunst, und 1966 gründete sich die Litauische Volkskunstvereinigung, die sich seit 1989 Litauische Volkskünstler-Union nennt und in der etwa 3000 Kunsthandwerker Mitglied sind. Das Litauische Zentrum für Volkskultur beschäftigt sich zurzeit mit zwei Hauptbereichen: den Volkstrachten und den traditionellen sakralen Kleindenkmälern wie Wegkreuzen und Schreinen.

Das vielbändige Werk „Litauische Volkskunst“ stellt eine umfassende Quelle für Wissenschaftler dar, außerdem gibt es verschiedene Monografien und wissenschaftliche Kataloge. J. Arinius veröffentlichte eine Monografie über sakrale Kleinbauten, I. Kokčius seine Forschungen zum Thema Wegkreuze und Kleinkapellen in Samogitien. M. Gimbutas hat die Symbolik in der Volkskunst erforscht.

In den letzten zehn Jahren befasste man sich auch mit der Erhaltung traditioneller Techniken und der Bedeutung ethnischer Einflüsse anderer Völker auf die Volkskunst.

Volkskunst

Die traditionelle litauische Volkskunst entstand in den ländlichen Gegenden, wo Gebrauchsgegenstände für den Alltag durch reiche Verzierung oft zu Kunstgegenständen wurden. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lösten sich Volkskunst und Kunsthandwerk – bedingt durch politische und gesellschaftliche Veränderungen – vom ländlichen Raum. Heute gibt es auch in den Städten viele Volkskünstler und Kunsthandwerker, die zur städtischen Kultur- und Kunstszene beitragen. Im Allgemeinen haben sie jedoch kein akademisches Kunststudium absolviert, und ihre Werke weisen einen Bezug zum traditionellen Brauchtum auf.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es in allen Bereichen der Volkskunst Veränderungen in Stil, Design, Farbe, Form, Funktion u.a. Dies lag zum Teil an den veränderten Lebensbedingungen und der Einführung der Massenproduktion, die das Kunsthandwerk beeinflusste, aber auch an den Auswirkungen der russischen Besatzung. Einige kunsthandwerkliche Gegenstände, wie geschnitzte Spindeln, Handtuchhalter und Werkzeuge zur Flachsverarbeitung, verloren ihren Alltagsnutzen und wurden zu reinen Dekorationsgegenständen. Während der russischen Besatzung galt traditionelles Kunsthandwerk aber auch als Mittel, die nationale Identität zu wahren, und so haben alle Bereiche der Volkskunst auf die eine oder andere Weise bis heute überlebt.

Auch in der Volkskunst unterscheidet man zwischen bildenden und angewandten Künsten. Zur ersten Gruppe gehören Malerei und Grafik, die neuere Technik der Collage, Bildhauerei und die eng damit verwandte litauische Sonderform der Wegkreuze und Schreine. Zur zweiten Gruppe zählen Holz-, Metall-, Keramik-, Bernsteinarbeiten und anderes Kunsthandwerk. Auch die jahreszeitlich und rituell geprägten kunsthandwerklichen Dekorationsgegenstände wie Ostereier, Masken, Weihnachtsschmuck etc. zählen dazu.

Die ersten Ausstellungen mit Volkskunstwerken gab es Ende des 19. Jahrhunderts, diese fanden jedoch nur regional und oft im Rahmen von Volksfesten statt. Anfang des 20. Jahrhunderts waren die ersten Werke wie Webereien, Holzarbeiten und Skulpturen in Ausstellungen im Ausland zu sehen, gaben einen Einblick in die litauische Kultur und zogen Fachleute und Interessierte an. So war litauische Volkskunst auf der Pariser Weltausstellung im Jahr 1900, auf der Tilsiter Messe 1905 und auf der Russischen Messe für Kleinkunst 1913 vertreten. 1908 gab es in Berlin eine eigene Ausstellung für litauische Volkskunst. Auch zwischen den beiden Weltkriegen, als Litauen unabhängig war, nahm es an Ausstellungen in Monza / Italien, Paris / Frankreich und Skandinavien teil. Auch innerhalb Litauens fanden zahlreiche Ausstellungen statt, die teilweise vom Landwirtschaftsministerium organisiert wurden. Diese Möglichkeit, ihre Werke zu präsentieren, ermutigte Volkskünstler und schuf eine Verbindung zwischen der akademischen und der traditionellen Kunst.

Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm diese Entwicklung noch zu, sodass es in den neunziger Jahren jährlich über 200 verschiedene regionale, überregionale und private Volkskunst-Ausstellungen gab, eine davon zum Beispiel im Rahmen des Litauischen Song Festivals. Während der russischen Besatzung führte das Zentrum für Volkskunst mehrere Ausstellungen durch, die zeitgenössisches Kunsthandwerk historischen Stücken aus Museen gegenüberstellten, darunter handgewebte Stoffe, Spinnwerkzeug und Zeichnungen.

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